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So manche deutsche Grenzgemeinde würde lieber zu Österreich gehören

25.07.2005Deutsche Gastarbeiter stürmen Österreich

Billig und willig

Immer mehr Deutsche entdecken Österreich als Arbeitsort. Die neuen Gastarbeiter der Alpenrepublik kommen nicht mehr aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien, sondern aus Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Und werden fündig.

Fritz Dinkhauser, Präsident der Arbeiterkammer Tirol (AK) – die AK ist Österreichs größte und mächtigste Arbeitnehmervertretung -, hat es wieder einmal geschafft. Bereits seit Jahren sorgt Dinkhauser durch flotte und populistische Sprüche immer wieder für mediales Aufsehen. Doch was sich das Tiroler Urgestein Mitte letzter Woche leistete, war sogar manchen seiner Parteigenossen aus den Reihen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zu viel. In einem Zeitungsinterview bezeichnete Dinkhauser Arbeitskräfte aus Deutschland „als Feinde des heimischen Arbeitsmarktes“ und „dass Deutsche in Tirol alles nehmen und die Hoteliers zu billigen und willigen Leuten kommen, was den Einheimischen Jobs kostet.“ 

Dinkhausers verbale Entgleisung kommt zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, denn die Tourismuszentren im Westen Österreichs sind derzeit alles andere als ausgelastet. „Mit diesem unnötigen Rülpser teilt Dinkhauser den deutschen Saisonniers mit, dass sie bei uns unerwünscht sind“, empörte sich postwendend Hannes Gschwentner, Stellvertretender Landeshauptmann von Tirol. Gleichzeitig signalisiere Dinkhauser „unseren Nachbarn, dass er sie bloß als touristische Melkkühe haben will“, so Gschwentner weiter. Immerhin sind die Deutschen mit Abstand die zahlenmäßig treuesten Österreich-Besucher.  

Ossis kellnern für die Ösis 

Tatsächlich gehören die neuen Gastarbeiter in Westösterreich bereits zum gewohnten Bild. Sie sprechen Sächsisch, kommen aus Thüringen, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt und suchen ihr Auskommen im Tourismus, in der Bauwirtschaft, im Gesundheitswesen, oder bei Anbietern unternehmensbezogener Dienstleistungen. Während aus den traditionellen Gastarbeiter-Ländern wie der Türkei oder Ex-Jugoslawien keine Zuwächse an Arbeitskräften mehr verzeichnet werden, stürmen nun die „Ossis“  den Arbeitsmarkt der „Ösis“.

Und der Ansturm hat gerade erst begonnen. Registrierte der Hauptverband der Sozialversicherungsträger zwischen September 2001 und September 2004 einen Anstieg der aus Deutschland stammenden Beschäftigten um rund 17.000, so kamen allein im Jänner dieses Jahres rund 9.000 zusätzliche deutsche Arbeitskräfte in die Alpenrepublik. Tendenz steigend.  

Die Gründe liegen auf der Hand: Arbeitsmarktbeschränkungen und Sprachproblem gibt es nicht und die Aussichten auf einen Job in Österreich sind, verglichen mit Arbeitslosenquoten von bis zu 30 Prozent in den neuen deutschen  Bundesländern, um ein Vielfaches besser. „Der österreichische Arbeitsmarkt wird für Deutsche immer interessanter. Das geht bis zu jungen und hoch qualifizierten, aber arbeitslosen Forschern“, weiß Hedwig Lutz, Arbeitsmarktexpertin vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. „Selbst bei technischen Führungspositionen beträgt der Anteil der deutschen Bewerber bis zu 50 Prozent“, weiß man auch beim Personalberater inventa Austria. Dabei schockiert die  kostenintensive Anreise für Bewerbungsgespräche ohne jeglichen Spesenersatz arbeitswillige Deutschen herzlich wenig. 

„Österreich, das bessere Deutschland“ 

Was vor wenigen Jahren noch als undenkbar galt, ist heute bereits Realität: Rund 45.000 deutsche Bundesbürger verdienen ihren Lebensunterhalt in Österreich. Selbst Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hält die Situation am österreichischen Arbeitsmarkt für „beneidenswert“. Während in Deutschland im Juni dieses Jahres 4,7 Millionen Menschen auf Arbeitssuche waren, gab es in Österreich gerade mal 211.000 Jobsuchenden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 4,2 Prozent gegenüber 11,3 Prozent in Deutschland.

Doch zu einem direkten Vergleich lässt sich auch Clement nicht hinreisen. Offenbar wirke die Erholung des Exportmarktes in einem kleinen Land wie Österreich viel stärker. Desweiteren hätten die Österreicher keine Wiedervereinigung zu bewältigen, so der SPD-Minister. Man wird sich also daran gewöhnen müssen, an die Kellnerin aus Sachsen, die in einer malerischen Tiroler Berglandschaft „Kafffe“ und nicht „Kaffeee“ serviert.